Ätzmittel

Flüssige chemische Reagenzien zum Sichtbarmachen der Gefügestruktur (siehe Gefüge) an einer polierten Oberfläche, in der Regel an einer Schliffprobe (Schliff).

Die Schlifffläche muss, um nach ihrer Präparation für eine metallographische Untersuchung geeignet zu sein, neben den allgemeinen auch noch speziellen Anforderungen genügen. Diese Anforderungen beziehen sich auf die Oberflächenausbildung und auf die Fähigkeit der Schlifffläche, eine gewünschte Wechselwirkung mit dem auftreffenden Licht einzugehen. Um die Reflexions- und Absorptionseigenschaften der Strukturelemente im zu untersuchenden Werkstoff zu verbessern, muss dieser in der Regel geätzt werden (siehe Ätzen), damit die erforderlichen Grau- und Farbkontraste zustande kommen.

Als Ätzmittel stehen eine große Anzahl Säuren, Basen, neutrale Lösungen, Lösungsgemische, Salzschmelzen usw. zur Verfügung. Die Angriffsgeschwindigkeit wird im Wesentlichen vom Dissoziationsgrad und der elektrischen Leitfähigkeit der Ätzlösung bestimmt. Die Ätzzeiten liegen zwischen Sekunden und Stunden. Ätzzeit und Ätztemperatur stehen in Zusammenhang: Durch Erhöhung der Temperatur kann sich die Ätzzeit verkürzen lassen.

Im Folgenden werden die für die Gießerpraxis wichtigsten Ätzverfahren genannt:

Grundgefüge in Gusseisen und Stahl

3 %-ige alkoholische Salpetersäure
Lösung: 97 ml Äthylalkohol, 3 ml konz. Salpetersäure
Ätzung: 5 - 7 s bei Raumtemperatur
Wirkung: Grafit unverändert (siehe Grafitform), Perlit graubraun gestreift oder körnig, Ferrit nicht angegriffen, bei stärkerer Ätzung Korngrenzen, Phosphideutektikum weiß mit dunklen Punkten, Zementit nicht angegriffen, umrandet, primär eutektische Zellen bei mehr als 0,1 % P mit freiem Auge sichtbar (siehe Eutektisches Korn),

Phosphidnetz

10 %-ige Ammoniumpersulfatlösung
Lösung: 10 g Ammoniumpersulfat, 100 ml dest. Wasser (alle drei Wochen frisch bereiten)
Ätzung: 45 s bei Raumtemperatur
Wirkung: Phosphideutektikum hell, Grundmasse schwarz (siehe Metallische Grundmasse von Gusseisen)

Zementit

Alkalische Natriumpikratlösung
Lösung: 25 g Natriumhydroxid, 75 ml dest. Wasser, zu 100 ml dieser Lösung werden 2 g Pikrinsäure zugefügt und 30 min am Wasserbad warm gelöst (Lösung immer frisch ansetzen)
Ätzung: 10 min bei etwa 50 °C
Wirkung: Zementit je nach Ätzdauer braun bis schwarz gefärbt, Phosphideutektikum, Ferrit und Chromkarbid nicht angegriffen

Eutektische Zellen (Klemm)

Lösung: 50 ml kalt gesättigte Natriumsulfatlösung, 2 g Kaliummetabisulfid
Ätzung: 20 s bis 1 min, abhängig von Phosphor- und S-Gehalt
Wirkung: Phosphideutektikum hell, Grundmasse dunkel, auch Ätzung auf Ferrit, Zwischenstufe (Bainit), Martensit (dunkel), Zementit und Austenit (hell)

Nachweis von Steadit (Fe-Fe3C-Fe3P) im Gusseisen (Murakami)

Lösung: 100 cm3 Wasser, 10 g NaOH oder KOH, 10 g Kaliumferrizyanid
Ätzung: bei 20 - 50 °C, 2 bis 20 Minuten (frisch verwenden)
Fe3C mit mehr als 10 % C wird rascher dunkel gefärbt als Fe3C mit geringeren C-Gehalten, Fe3P wird dunkel gefärbt

Austenitische Stähle, Sigma-Phase (V2A-Beize)

Lösung: 100 cm3 Wasser, 100 cm3 HCL, 10 cm3 HNO3, 0,3 cm3 Vogels Sparbeize
Ätzung: bei 50 °C einige Sekunden bis Minuten

Chromlegierte Stähle (WII)

Lösung: 60 ml konz. HCl, 16 g FeCl3 + 50 ml Wasser, 9 g (NH4)2SO4 + 50 ml Wasser
Ätzung: 3 - 7 s bei RT

Primärgefüge (Jurich)

Lösung: konz. Schwefelsäure mit kristallisierter Borsäure als Bodenkörper (etwa 1 g/10 ml)
Ätzung: 20 s bei Raumtemperatur, polieren, wieder ätzen und diesen Vorgang so oft wiederholen, bis die Dendriten gut sichtbar sind
Wirkung: Die Primärdendriten erscheinen heller in der dunkleren Grundmasse

Schwefel

Baumann-Abdruck
Lösung: 100 ml dest. Wasser, 5 ml konz. Schwefelsäure
Arbeitsweise: Bromsilber-Fotopapier wird 5 min lang in der Dunkelkammer in die Lösung eingelegt. Dann wird das Papier herausgenommen, man lässt es kurz abtropfen und drückt es so mit der Schichtseite rasch von einer Kante aus auf den fein geschliffenen und polierten, ungeätzten Schliff, dass keine Luftblasen eingeschlossen werden. Nach 5 min wird das Papier vom Schliff abgehoben, in Wasser gespült, normal ausfixiert, eine Stunde gewässert und getrocknet. Um den Rand des Papiers rein weiß zu halten ist es gut, den Abdruck in einem halbdunklen Raum anzufertigen. Wenn ein Abdruck misslingt, genügt es nicht, den betreffenden Schliff nachzupolieren. Er muss, vom gröbsten Schmirgelband beginnend, nachgeschliffen werden.
Wirkung: An Stellen von Sulfid-Einschlüssen wird das Papier dunkelbraun gefärbt.

Phosphorseigerungen (Czikel und Klemm)

Thiosulfatätzung
Lösung: 50 ml kalt gesättigte Natriumsulfatlösung, 2 g Kaliummetabisulfid
Ätzung: 10 - 20 s bei Raumtemperatur
Wirkung: Es bildet sich auf dem Eisen eine Haut von braunem Eisensulfid, die um so dünner ist, je höher der Phosphorgehalt ist.

Kornflächenätzung besonders für Reinkupfer

Salpetersäure
Lösung: 30 ml dest. Wasser, 70 ml konz. Salpetersäure, einige Tropfen Silbernitratlösung
Ätzung: 10 - 60 s, Raumtemperatur
Wirkung: Das Makrogefüge wird sichtbar, für mikroskopische Betrachtung nicht geeignet.

Korngrenzen oder Kornflächen an Kupfer und Bronzen

Ammoniak-Wasserstoffperoxid
Lösung: 50 ml Wasser, 50 ml gesättigte Ammoniaklösung, 20 - 50 ml 3 %-ige Wasserstoffperoxidlösung
Ätzung: 10 - 30 s, Raumtemperatur
Wirkung: Das Makrogefüge wird sichtbar, bei schwacher Ätzung auch für die mikroskopische Betrachtung geeignet.

Mikrogefüge aller Kupferlegierungen

Eisenchlorid
Lösung: 120 ml Äthylalkohol, 30 ml konz. Salzsäure, 10 g Eisenchlorid (FeCl3)
Ätzung: 5 – 10 s bei Raumtemperatur
Wirkung: Die Gefügebestandteile, namentlich bei Messing und Bronze, werden sichtbar gemacht.

Kornflächenätzung

Aluminium Mischsäure
Lösung: 30 ml konz. Salzsäure, 10 ml konz. Salpetersäure, 60 ml Wasser, Zusatz von so viel festem Natriumfluorid oder Kryolith, bis ein Bodensatz verbleibt (ca. 5 g)
Ätzung: 1 - 2 min bei Raumtemperatur. Dazwischen mehrmals unterbrechen und in Wasser spülen, damit die Temperatur nicht zu sehr steigt.
Wirkung: Das Makrogefüge wird sichtbar. Für mikroskopische Betrachtung nicht geeignet.

Mikrogefüge bei Legierungen (insbesondere Aluminium-Gusslegierungen) (Keller und Wilcox)

Mischlösung
Lösung: 100 ml dest. Wasser, 0,5 ml Fluss-Säure, 2 ml konz. Salzsäure, 1 ml konz. Salpetersäure
Ätzung: 10 - 20 s, Raumtemperatur
Wirkung: Silizium wird nicht angegriffen (violett), Mg2Si erst blau, dann schwarz, übrige Gefügebestandteile meist nur umrandet

Gefüge von Reinaluminium und Aluminiumlegierungen unter 1 % Si

Elektrolytisches Polieren
Lösung: 100 ml Methylalkohol, 6 ml konz. Perchlorsäure
Arbeitsweise: 5 - 15 s bei maximal 25 °C und gutem Rühren anodisch bei 48 Volt elektrolysieren
Wirkung: Silizium und Mg2Si werden herausgelöst. Alle anderen Gefügebestandteil erscheinen umrandet gut sichtbar.

Kornorientierung (Lacombe)

Lösung: 25 ml konz. Salzsäure, 25 ml konz. Salpetersäure, 1 ml Fluss-Säure (in paraffinierter Schale)
Ätzung: 5 - 30 s, Raumtemperatur
Wirkung: Es entstehen Ätzfiguren, die Schnitte des Würfels darstellen.

Zink- und Bleilegierungen

Bisher hat sich ausnahmslos 3 %-ige alkoholische Salpetersäure bewährt.
Ätzung: ca. 10 s, Raumtemperatur
Wirkung: Entwicklung des Mikrogefüges

Kobalt-Chrom- Molybdän- Legierungen (Visil)

Ätzung mit Königswasser
Lösung: Verhältnis Salzsäure zu Salpetersäure = 3:1
Ätzung: 10 - 30 s, Raumtemperatur
Wirkung: Entwicklung des Mikrogefüges

Weißmetalle (Vilella)

Lösung: 16 ml konz. Salpetersäure, 16 ml Eisessig, 68 ml Glycerin
Ätzung: einige Minuten bei Raumtemperatur
Wirkung: Antimon und antimonhaltige Phasen sind hell.

Mikroätzung von reinem Magnesium

Nitalätzmittel
Lösung: 100 ml Ethanol (96 %), 1 bis 8 ml Salpetersäure (65 %)
Ätzung: Sekunden bis Minuten, Raumtemperatur
Wirkung: Korngrenzen

Essigsäurelösung
Lösung: 100 ml Ethanol, 5,2 g Zitronensäure
Ätzung: bis zu 5 min
Wirkung: Korngrenzen

Lösung nach Bastien
Lösung: 100 ml Ethanol, 2,2 g Zitronensäure
Ätzung: max. 5 min
Wirkung: Entwicklung des Mikrogefüges

Zitronensäurelösung
Lösung: 100 ml Ethanol, 2 bis 11 g Zitronensäure
Ätzung: bis 30 s, Wischätzen, Probe in heißem Wasser abspülen
Wirkung: Entwicklung des Mikrogefüges

Mikroätzung von Magnesiumlegierungen

Nitalätzmittel
Lösung: 100 ml Ethanol (96 %), 1 bis 8 ml Salpetersäure (65 %)
Ätzung: Sekunden bis Minuten, Raumtemperatur
Ätzung von: für alle Legierungen geeignet
Hinweis: für gegossene, geschmiedete und gewalzte Zustände anwendbar

Zitronensäurelösung
Lösung: 100 ml Ethanol, 2 bis 11 g Zitronensäure
Ätzung: 5 bis 30 s, Wischätzen, Probe in heißem Wasser abspülen, im Luftstrom trocknen
Ätzung von: Mg-Cu, Mg-Spritzgusslegierungen
Hinweis: auch für wärmebehandelten Guss und für bearbeitete Proben

Weinsäurelösung
Lösung: 90 ml dest. Wasser, 2 - 10 g Weinsäure (Mg-Legierungen mit mehr als 6 % Al 20 g Weinsäure)
Ätzung: 10 s bis 20 min, nur trocken polieren, kräftiges Ätzwaschen, dann mit Ethanol waschen und in kaltem Luftstrom trocknen
Ätzung von: Mg-Al, Mg-Mn, Mg-Mn-Al-Zn
Wirkung: Korngröße in Gussstücken, Fließlinien, auch für gewalzte, geschmiedete
und gepresste Proben

Ammoniumpersulfatlösung
Lösung: 100 ml dest. Wasser, 10 g Ammoniumpersulfat (40 %)
Ätzung: Wischätzen, bis Oberfläche braun erscheint
Ätzung von: Mg-Legierungen im geschmiedeten Zustand
Wirkung: Kornflächenätzung

Flusssäurelösung
Lösung: 90 ml dest. Wasser, 10 ml Fluss-Säure (40 %)
Ätzung: 3 bis 30 s Proben bewegen, evtl. Fluss-Säuregehalt verringern, Plastikgefäße verwenden
Ätzung von: Mg (techn. rein), Mg-Al-Zn, Mg-Zn-Th-Zr, Mg-SE
Wirkung: Mg17 Al12 wird als dunkle Phase sichtbar, zur Unterscheidung von Mg-Al- und Mg-Al-Zn-Phasen

Oxalsäurelösung
Lösung: 100 ml dest. Wasser, 2 g Oxalsäure
Ätzung: Vorsicht! 6 bis 10 s
Ätzung von: Mg, Mg-Al, Mg-Al-Zn, Mg-Mn, Mg-Th-Zr, Mg-Zn-Zr
Wirkung: Korngrenzen, auch für stranggepresste Proben

Weiterführende Stichworte:
Tiefätzung