Gießgerechte Gestaltung

Im Idealfall sollten die verfahrensspezifischen Vorteile des Gießens möglichst bereits vor der endgültigen Festlegung der Bauteilgeometrie berücksichtigt werden. Zwischen dem Kunden und dem Gießer sollten daher vor Bestellung folgende Punkte geprüft und berücksichtigt werden:

1. Wirtschaftlichkeit
2. Funktions- und beanspruchungsoptimierte Gestaltung
3. Gießverfahrens- und werkstoffoptimierte Konstruktion
4. Modell- und formoptimierte Ausführung
5. Putz- (Bearbeitungszugaben auf Mindestmaß) und bearbeitungsoptimierte Flächen
6. Prüfgerechte Ausführung
7. Formschönheit

Die bei der Erstarrung auftretende Volumenkontraktion (s. Erstarrungsschrumpfung, Schwindung) und dadurch entstehende Speisungsdefizite können durch gelenkte Erstarrung in einem hohen Maße aufgefangen werden. Dazu sind folgende Voraussetzungen grundsätzlich zu erfüllen:

  • Materialanhäufungen sind möglichst zu vermeiden
  • Knotenpunkte sind möglichst auflösen
  • Wanddicken sollten zum Speiser hin größer werden (s. a. Heuverssche Kreismethode)
  • Keine scharfen Wandstärkenübergänge
  • Querschnittsabstufungen sollten mit der Modulrechnung (s. Modul, Gussstückmodul) präzise ermittelt werden

Vermeidung von Materialanhäufungen

Infolge unterschiedlicher Abkühlungsgeschwindigkeit erstarrt der flüssige Werkstoff im Bereich einer lokalen Materialanhäufung langsamer als in den umgebenden Bereichen mit dünneren Wanddicken. Infolge der Volumenkontraktion beim Übergang vom flüssigen in den festen Zustand und bei ausbleibender Nachspeisung bilden sich in diesen "hot spots" Hohlstellen bzw. Lunker, Speiser oder Kerne, verteuern das Gussstück.

Durch einfache konstruktive Änderungen lassen sich diese „hot spots“ meist vermeiden (Bild 1). Werkstoffanhäufungen lassen sich vielfach auch durch Aussparungen und Verrippungen vermeiden. Zudem kann auch die Rissgefahr durch Rippen unterbunden werden (Bild 2).

Vermeidung von Luftblasenbildung


Um eine unerwünschte Blasenbildung und damit die Ausbildung einer unansehnlichen Oberfläche zu verhindern, sollten Scheibenflächen schräg angeordnet werden (Bild 3).

Korrekte konstruktive Gestaltung von Wanddickenübergängen

Bei Übergängen von einer dünnen Wand in eine dickere besteht bei zu kleinen Ausrundungen die Gefahr der Lunker- bzw. auch Rissbildung. In diesem Fall sollte ein fließender Übergang mit einer Steigung von 1:5 vorgesehen werden (Bild 4, oben). Bei Übergängen mit Rundungen zwischen ungleichen Wanddicken sollte folgende Regeln für die Radien eingehalten werden (Bild 4, mittig):


R_i = (s_1 + s_2)/2 und R_a = s_1 + s_2

Bei Übergängen mit gleichen oder ähnlichen Wanddicken und Rundungen (Bild 4, unten) sollten diese wie folgt ausgeführt werden:

R_i = 0,5 cdot s bis 1,0 cdot s und R_a = R_i + s

Günstige Gestaltung von Knotenpunkten

Knotenpunkte, in denen Rippen oder Wände aufeinander treffen, bilden Werkstoffanhäufungen, die man durch besondere Gestaltung, durch das Einlegen von Kernen oder durch Speisung auflösen kann. Anderenfalls besteht die Gefahr der Lunkerbildung.

Vermeidung von Verzug durch Schwindungsspannungen

Eine Sternverrippung (Bild 6 links) ist unnachgiebig, so dass beim Abkühlen des Gussteils nach dem Gießen kein Schwindungsspielraum bleibt und dadurch erhebliche Spannungen mit Gefahr von Verzug oder Rissen auftreten können. Eine Wabenverrippung (Bild 6, rechts) behindert das Schwinden des Gussstückes in der Form nur wenig und im Gussteil treten nach Abkühlung nur geringe Eigenspannungen auf. Die Gefahr des Auftretens von Rissen und Verzug wird somit vermieden, wobei trotzdem wird eine hohe Bauteilfestigkeit erreicht wird.

Vermeidung von Versatz und Gratbildung

Die Teilungsebene (s. Formteilung) einer Sandform oder Kokille soll so einfach wie möglich gestaltet werden. Der Teilungsverlauf am Gussteil soll geradlinig sein und nicht durch Flächen gehen, deren Aussehen durch Abschleifen des Formteilungsgrates beeinträchtigt werden könnte. Die Teilungsebenen sollten so angeordnet werden, dass Flächen, die unbearbeitet bleiben und maßhaltig sein sollen, nicht durch die Formteilung getrennt werden. Zudem lässt sich damit ein möglicher Versatz vermeiden. Liegt die Formteilung unzweckmäßig, so wird das Entgraten erschwert und verteuert. Die Teilungsebenen sind daher im günstigen Fall auch so zu legen, dass das Werkstück problemlos entgratet werden kann (Bild 7).

Vorsehen von Formschrägen

Ist die Formteilungsebene festgelegt, dann ist darauf zu achten, dass die Außenflächen in Ausheberichtung schräg liegen. Sonst lassen sich die Modelle nicht aus der Form heben, ohne dass diese beschädigt wird. Nach DIN EN 12890 sind die Formschrägen (a) in der Zeichnung in Winkelgraden anzugeben. Bei fehlenden Innenschrägen benötigt man Innenkerne.

Vermeidung von Hinterschneidungen und Kernen

Auch Querrippen und Augen sind so zu gestalten, dass sich die Modelle leicht aus der Form heben lassen (Hinterschneidungen vermeiden, weil sie Ansteck- oder Losteil erfordern). Kerne sind teuer und erschweren das Einformen. Sie sollten nach Möglichkeit vermieden werden. Anzustreben sind offene Querschnitte. Notwendige Öffnungen sind daher derart auszuführen, dass Kerne nicht erforderlich sind.

Vermeidung scharfer Kanten und scharfkantiger Übergänge

Scharfe Kanten sind zu vermeiden, da sie gießtechnisch schwer zu verwirklichen sind und zu Rissen führen. Die Rundungshalbmesser R sollten ein Drittel bis ein Viertel der Wanddicke s betragen. Flächen, die nur bearbeitet werden, bilden mit der rohen Gusswand scharfe Kanten aus.

Korrekte Ausführung von Rippen und Rippenanschlüssen

Rippen sollen zur Herabsetzung der Gussspannung stets dünner als die Wanddicke ausgeführt werden. Die Rippendicke sollte das 0,8-fache der Wanddicke s betragen (Bild 11, oben). Bei beiderseits angeordneten Rippen ist zur Verringerung der Werkstoffanhäufung (Lunkergefahr) ein Versatz erforderlich. Im Falle einer Versteifung in einem Gussfundament in Bild 11, unten wird verdeutlicht, wie die Materialanhäufung durch Auseinanderlegen zweier Rippenanschlüsse und Durchbruch der Rippe in der Ecke des Gehäuses vermieden werden kann.

Verwendung der Heuversschen Kreismethode

Ein einfaches Hilfsmittel zur Kontrolle von Materialanhäufungen ist die Anwendung der Heuversschen Kreismethode. Bei einer gießgerechten Konstruktion soll das Verhältnis benachbarter einbeschriebener Kreisquerschnitte (A1/A2) jeweils nahe bei eins liegen (Bild 12).Um Gussstücke aus Werkstoffen mit hoher Erstarrungskontraktion (z. B. Stahlguss GS oder Cu) dicht speisen zu können, sind die Wanddicken besonders sorgfältig auszulegen. Auch in diesen Fällen empfiehlt sich die Anwendung der Heuversschen Kontrollkreise. Eine gießgerechten Konstruktion bedingt, dass die Flächen der Kreise zum Speiser hin größer werden (gerichtete Erstarrung).

Weiterführende Stichworte:
Gestaltung von Gussteilen
Gießgerechtes Konstruieren
Beanspruchungsgerechte Gestaltung
Heuverssche Kreismethode

Literatur:
Technische Richtlinien, Sand- und Kokillenguss aus Aluminium, Bundesverband der deutschen Gießerei-Industrie
Alfred Herbert Fritz, Günter Schulze (Hrsg.), Fertigungstechnik, 8., neu bearbeitete Auflage, 2008 Springer-Verlag Berlin Heidelberg

  • Bild 1: Vermeidung von Materialanhäufungen durch günstige konstruktive Gestaltung
  • Bild 2: Vermeidung von Materialanhäufungen und Rissgefahr durch Aussparungen und Rippen
  • Bild 3: Vermeidung von Luftblasenbildung durch schräge Scheibenoberflächen
  • Bild 4: oben: Wanddickenübergang bei geringen Radien, Ausführung im Verhältnis 1:5mittig: Wanddickenübergang bei größeren Radien, Ri=(s1+s2)/2, Ra=s1+s2unten: Radien bei Übergängen mit gleichen Wanddicken, Ri=0,5·s - 1,0·s, Ra=Ri+s
  • Bild 5: Ausbildung von Knotenpunkten
  • Bild 6: Stern- und Wabenverrippungen
  • Bild 7: Festlegung einer günstigen Teilungsebene in Hinsicht auf Maßhaltigkeit, Versatz und Gratfreiheit
  • Bild 8: Schräge Aushebeflächen und Formschrägen
  • Bild 9: Vermeidung von Hinterschneidungen und Ausbildung offener Querschnitte
  • Bild 10: Vermeidung scharfer Kanten
  • Bild 11: Korrekte Ausführung von Rippen und Rippenanschlüssen
  • Bild 12: Anwendung der Heuversschen Kreismethode