Orowan-Mechanismus

Die Wirkung einer Ausscheidung auf die Versetzungsbewegung ist im Wesentlichen von deren Festigkeit und Größe abhängig. Die zwei Grenzfälle der Interaktion mit den Versetzungen werden im Friedel-Effekt und im Orowan-Mechanismus beschrieben.

Die Ausscheidungsbildung ist von der Temperatur und der Zeit abhängig und verläuft im Allgemeinen diskontinuierlich. Herrscht zuerst noch eine regellose Verteilung der Legierungsatome vor, so sammeln sie sich bei erhöhter Temperatur an bevorzugten Gitterpositionen, wodurch es zur Bildung lokaler Überstrukturen wie Nahentmischungen, einphasige Entmischungen oder Clusterbildung kommt (Bild 1). Dadurch bleibt aber das Gitter weiterhin erhalten und verspannt. Bei ausreichender Zeit und Temperatur können im Mischkristall sogenannte Guinier-Preston-Zonen (GP-Zonen) entstehen, die ähnlich festigkeitssteigernd wie kohärente Ausscheidungen wirken.

Bilden sich stattdessen intermediäre Verbindungen, so entstehen zweiphasige Entmischungen, die eine Phasengrenze aufweisen (Bild 2).

Ist das ausgeschiedene Teilchen klein und nicht zu hart, so wird es, dem Friedel-Effekt folgend, von der Versetzung unter Bildung einer Antiphasengrenze abgeschert (Bild 3-I). Im Gegensatz dazu biegt sich, nach dem Orowan-Mechanismus, die Versetzungslinie solange um das Teilchen, bis es völlig umschlossen ist und sich die Versetzung unter Zurücklassung eines Versetzungsringes um das passierte Teilchen weiterbewegen kann (Bild 3-II). Dies ist vorwiegend bei großen und härteren Ausscheidungen zu beobachten.

Ist ein Teilchen kohärent, so wird es vorwiegend von der Versetzung geschnitten, während inkohärente Teilchen eher nach dem Orowan-Mechanismus umgangen werden und Versetzungsringe hinterlassen, da die Phasengrenze zwischen Wirtsgitter und inkohärenter Ausscheidung für eine Versetzung schwer zu überwinden ist (siehe Bild 4 und Bild 5).

Die Spannung zum Durchschneiden nimmt jedoch mit √r zu. Diese kann daher nicht größer werden als die Orowan-Spannung τOW, denn dann benötigt die Versetzung eine geringere Energie mit dem Umgehen der Ausscheidung. Bei gleicher Teilchenart ist daher der Widerstand vom Durchmesser der Ausscheidungen, d. h. der Teilchengröße, abhängig (siehe Bild 6).

Die Einstellung von Teilchen mit der kritischen Teilchengröße rc ist das Ziel der Aushärtung. Es bleibt anzumerken, dass rc nicht vom prozentualen Anteil der ausgeschiedenen Phase abhängt.

Weiterführende Stichworte:
Aushärtung
Wärmebehandlung von aushärtbaren Aluminium-Legierungen
Verfestigungsmechanismen

Literatur:
1 Gerold, V.: Precipitation Hardening; Dislocations in Solids; Vol. 4, North-Holland Publishing Company, Amsterdam, New York, Oxford, 1979.
2 Bargel, H.J.; Schulze, G. (Hrsg.): Werkstoffkunde; 10. Auflage, Springer Verlag, Berlin, Heidelberg, 2008.
3 H. Rockenschaub et al., Neue Wärmebehandlung für beste mechanische Eigenschaften im Aluminium-Druckguss, Giesserei 93 (2006) Nr. 7, S. 20–33.

  • Bild 1: Mögliche Anordnungen von Fremdatomen im Substitutionsmischkristall: a) statistisch verteilt, b) Fern-, c) Nahordnung, d) Zonenbildung nach H.J. Bargel und G. Schulze
  • Bild 2: Entmischungsreihe: a) ungeordnete Konzentration (Cluster, einphasige Entmischung), b) geordnete Konzentration (Zone), c) kohärente Ausscheidung (zweiphasige Entmischung), d) inkohärente Ausscheidung (zweiphasige Entmischung), nach H.J. Bargel und G. Schulze
  • Bild 3: Schematische Darstellung desI: Friedel-Effekts (Abscherung von Ausscheidungen)II: Orowan-Mechanismus (Umgehen von Ausscheidungen) nach V. Gerold.
  • Bild 4: Abgescherte Ni3Al-Teilchen einer NiCrAl-Legierung
  • Bild 5: Versetzungsringe nach dem Umgehen von Ni3Si-Teilchen einer NiSi-Legierung
  • Bild 6: Übergang vom Friedel-Effekt (Schneiden der Teilchen) zum Orowan-Mechanismus (Umgehen der Teilchen) am kritischen Teilchenradius