Stängelkristall

Kristallform im Gussgefüge. Vor allem bei kubisch erstarrenden Metallen wächst der Kristall  (siehe auch Kristallit) in bevorzugten Richtungen (senkrecht zur Würfelfläche) sehr schnell, in anderen Richtungen aber langsamer. Die sich daraus ergebende räumliche Anordnung wird als Dendrit bezeichnet, die Kristallisationsbedingungen bzw. die Erstarrungsmorphologie hängen dabei weitgehend von den Abkühlbedingungen ab.

Kühlt eine Schmelze annähernd gleichmäßig ab, entstehen rundliche „äquiaxiale“ Körner, die als Globulite bezeichnet werden. Stängelförmige bzw. säulenförmige oder auch prismatische Kristallformen entstehen, wenn die Kristalle z. B. in einer Richtung bevorzugt wachsen, in den beiden anderen Richtungen dagegen weniger schnell, aber beide annähernd gleichmäßig. Bei einer ungleichmäßigen (gerichteten) Wärmeabfuhr bilden sich vor allem längliche Kristallite entgegen der bevorzugten Wärmeabflussrichtung aus (Bild 1).

Bild 2 zeigt den Schnitt eines gegossenen stabförmigen Bauteiles in einer Kokille. Man erkennt die von der Kokillenwand ausgehende nadel- oder stängelartige Kristallform, die streng entgegen dem Wärmefluss gerichtet ist. Dabei werden meist Verunreinigungen in der Restschmelze angereichert, so dass diese mit hoher Keimzahl globular erstarrt.

Nadelstrukturen und Stängelkristalle werden an Gussstücken bei mittleren Abkühlungsgeschwindigkeit beobachtet. Zur Deutung der Entstehung der Gussgefüge kann die Darstellung eines Blockes nach S. Engler herangezogen werden, der eine äußere Globulitenzone, Stängelkristalle und innere Globuliten enthält (Bild 3). Zur Erklärung der äußeren Globulitenzone wird auf die klassische Theorie der Keimbildung zurückgegriffen: Beim Eingießen des Metalls in die kalte Form wird dem Metall durch den Formstoff schnell Wärme entzogen, so dass sich an der FormwandUnterkühlungen ergeben, die zur Keimbildung führen. Unter Mitwirkung der Formwand und in der Schmelze schwebender Fremdteilchen entstehen durch heterogene Keimbildung viele kleiner Körner, die sich zu rundlichen Kristallen auswachsen (1 in Bild 3), wobei jedoch durch die freiwerdende Erstarrungswärme die Unterkühlung beseitigt und das Wachstum gebremst wird. Das anschließende Stängelkristallwachstum (2 in Bild 3) wird durch die Wachstumsauslese erklärt: Die günstig zum Wärmefluss senkrecht zur Formwand orientierten Kristalle können in das Blockinnere weiterwachsen, die übrigen Kristalle behindern sich in ihrem Wachstum. Für die Entstehung der inneren Globulitenzone (3 in Bild 3) werden nach S. Engler mehrere Theorien angeboten (nachzulesen im Stichwort Gussgefüge):

  • die konstitutionelle Unterkühlung und heterogene Keimbildung vor der Erstarrungsfront bzw.
  • der Herantransport von Kristallen bzw. Kristallfragmenten aus den äußeren Bereichen eines Gusskörpers ins Innere.

Weiterführende Stichworte:
Erstarrung
Erstarrungsmorphologie
Erstarrungstyp
gerichtete Erstarrung
Einkristall
Mischkristall
Einlagerungsmischkristall
Substitutionsmischkristall

Literatur:
Fritz A., Schulze G.: Fertigungstechnik, Springer-Verlag Berlin Heidelberg, 2008.

  • Bild 1: Auswirkung des Wärmeflusses auf die Ausbildung von Körnern (Kristalliten)1) Globulares Korn entsteht bei annähernd gleichmäßigem Wärmefluss in verschiedenen Richtungen2) Stängelkristalle entstehen bei einem Wärmefluss mit einer bevorzugten Richtung
  • Bild 2: Randzone mit Säulenkristallen und globulitisch erstarrter Restschmelze in der Mitte, nach A. Fritz und G. Schulze
  • Bild 3: Charakteristisches Gussgefüge in einem Gussblock, nach S. Engler, 1981
  • Bild 4: Gefüge eines beschichteten Druckgussteiles aus ZA4301) Beschichtung2) feinglobulitisches Randgefüge 3) Stängelkristallzone
  • Bild 5: Stängelkristalle in einem Zink-Druckgussteil