Verfestigungsmechanismen

Mechanismen die zur Verfestigung (Festigkeitssteigerung) von metallischen Werkstoffen beitragen und wirksam ein Versetzungsgleiten behindern.

Die Festigkeit eines metallischen Werkstoffes ist immer eng mit den darin enthaltenen Versetzungen verbunden. Um ein Material in seiner Festigkeit zu steigern, gilt es daher, die Bewegung der Versetzungen zu erschweren bzw. zu behindern oder im günstigsten Fall zu verhindern. Die wichtigsten dafür zur Verfügung stehenden Möglichkeiten werden nachfolgend kurz beschrieben

1. Umformverfestigung (Knotenbildung, Vernetzungshärtung):
Netzwerke von „verhakten“ Versetzungen machen ein Material spröder und härter, weil dadurch die Versetzungsbewegung gehemmt wird. Netzwerke werden vor allem bei der Bearbeitung eines Materials gebildet („work hardening“).

Durch Kaltverformung (Kaltverfestigung) kann in einem Material also ein deutlicher Zuwachs an Versetzungen erreicht werden, wodurch die Versetzungsdichte enorm ansteigt. Die zahlreichen bei der Umformung eingebrachten Versetzungen behindern sich gegenseitig in ihrer Bewegung und das Material wird kaltverfestigt.

2. Korngrenzenhärtung (Kornfeinung, Phasengrenzhärtung):
Beim Auftreffen einer wandernden Versetzung auf eine Grenze zwischen zwei gegeneinander missorientierten Kristallkörnern ist die Periodizität gestört, die ursprüngliche Gleitebene setzt sich nicht „nahtlos“ fort. Der Grad der Behinderung hängt von der Größe der Missorientierung ab. Ein kleineres Korn kann durch eine gezielte Wärmebehandlung oder durch Behandlung der Schmelze mit Kornfeinungsmittel bzw. Impfen erzielt werden. Für die Abhängigkeit der Dehn- oder Streckgrenze von der Korngröße gilt die sog, Hall-Petch –Beziehung (Glg.1)

Glg 1:R = sigma_0 + frac{k_y}{sqrt{d_K}}

mit σ0 der Startspannung für die Versetzungsbewegung ("Reibungsspannung"), ky dem Korngrenzwiderstand (Hall-Petch-Konstante) und dK dem mittleren Korndurchmesser. Es sind Konstanten, die vom Werkstoffzustand und den Prüfbedingungen abhängen.

3. Mischkristallverfestigung (Legierungshärtung, Verfestigung durch Einbau von Fremdatomen):
Fremdatome - insbesondere mit deutlich unterschiedlicher Größe – stellen ein Hindernis beim Versetzungsgleiten dar. Dieser Effekt wird - durch das ein Fremdatom umgebende Spannungsfeld - noch verstärkt und kann zum Festhalten („pinning“) der Versetzung führen.

Die Festigkeitssteigerung durch Mischkristallverfestigung kann wesentlich wirksamer sein als die Verfestigung durch Umformen oder Kornfeinung. Wird eine lineare Überlagerung der Festigkeiten von zwei Elementen gemäß ihrer prozentualen Zusammensetzung angenommen, so liegt der tatsächliche Verlauf deutlich über dieser Linie. Als Beispiel sei das System Cu-Ni genannt (Bild 1), wobei die Elemente im gesamten Konzentrationsbereich vollständig mischbar sind. Der Einbau von Fremdatomen anderer Größe erzeugt im Kristallgitter Zug- oder Druckspannungen, die zu einer Behinderung der Versetzung Bewegung führen.

4. Dispersionshärtung: Größere dispergierte Teilchen stellen stärkere Hindernisse dar:
Das Gleiten wird von nahe beieinander liegenden Teilchen behindert. Weitere Versetzungsringe werden erzeugt (Orowan-Mechanismus). Enthält ein Metall nichtmetallische Einschlüsse, z. B. Oxide, dann wird die Versetzungsbewegung durch diese Partikel hindurch verhindert. Der einzig mögliche Verformungsmechanismus besteht darin, dass die Versetzungen die Hindernisse umgehen müssen.

5. Ausscheidungshärtung: Wandernde Versetzungen bleiben an ausgeschiedenen Partikeln (mit einer anderen Struktur) hängen. (Beispiel: Cu-Al:
bei hohen Temperaturen feste Lösung, bei tiefen Temperaturen Ausscheidungen von Partikeln mit Al2Cu-Strukur). Dieser Mechanismus ist natürlich in mehrphasigen Materialien besonders wirksam (s. Aushärtung, Wärmebehandlung von aushärtbaren Aluminium-Legierungen).

Die Phasengrenze zwischen Ausscheidung und Matrix kann sowohl inkohärent als auch teilkohärent sein. Inkohärente Phasen wirken auf Versetzungen wie unüberwindbare Korngrenzen, weshalb diese Phasen genauso effektiv sind wie Partikel oder Dispersoide. Bewegt sich eine Versetzung durch eine kohärente Ausscheidung, so wird das Teilchen abgeschert, weil die Versetzung die Atome auf der einen Seite der Gleitebene verschiebt, was in Bild 2 dargestellt wird (Friedel-Effekt). Durch das Abscheren entstehen zusätzliche Phasengrenzflächen, deren Energie beim Schneiden des Teilchens durch die angelegte Spannung aufgebracht werden muss.

Die Scherspannung beim Schneiden der Teilchen ist proportional zur Wurzel aus der Teilchengröße, kann jedoch nicht größer werden als die Orowan-Spannung, da ja dann die Versetzung das Teilchen leichter umgehen kann als es zu schneiden. Dieser Zusammenhang ist in Bild 3 dargestellt. Es ist daher leicht verständlich, dass es eine bestimmte Größe der Ausscheidungen mit Teilchenradius r0 gibt, bei der eine maximale Festigkeit erzielt werden kann.

6. Tailoring:
In mehrphasigen Systemen lassen sich gezielt Mikrostrukturen durch „Tailoring“ (= geeignete Temperatur-Zeitbehandlung) erzeugen, die durch die Phasenchemie, die Transformationskinetik, die atomaren Strukturen und die Größenverteilung der ausgeschiedenen Phasen bestimmt werden. Beispiel: „Stahl“ (Fe + C), in dem die Koexistenz einer Reihe struktureller Phasen (Austenit, Martensit, Ferrit, Zementit u.a.), mehr oder minder große Kohlenstoffausscheidungen, spezielle Gefüge („Martensit“-Gefüge) und innere Spannungen (und auch Zulegierungen) die Eigenschaften der jeweiligen Stahlsorte bestimmen.

7. Transformationshärtung:
Viele Verbindungen durchlaufen Phasentransformationen. Eventuell koexistierende Phasen führen zu Mikrostrukturen, die eine Härtung bedingen.

Kombination der Mechanismen der Festigkeitssteigerung

  • Die durch die einzelnen Mechanismen in metallischen Werkstoffen erzielbaren Festigkeiten bzw. erreichbaren Härten sind sowohl aus physikalischen als auch technischen Gründen begrenzt.
  • So sind bei der Mischkristallhärtung die am stärksten in Bezug auf die Festigkeitssteigerung wirkenden Elemente in der Matrix nur wenig löslich.
  • Die Versetzungshärtung weist eine obere Versetzungsdichte auf. Bei Überschreiten dieser Grenze geht der kristalline Aufbau verloren.
  • Bei der Korngrenzenhärtung existiert eine untere Grenze der Korngröße, die durch technische Möglichkeiten zur Kornfeinung nicht unterschritten werden kann.
  • Für die Teilchenhärtung gilt, dass die enstehenden Teilchen unterschiedlich groß sind. Dadurch wird die maximale, theoretische Festigkeit – die Teilchen mit dem kritischen Durchmesser in enger Verteilung und hoher Dichte voraussetzt – nicht erreicht.

Literatur:
Riehle M., Simmchen E., Grundlagen der Werkstofftechnik, Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Stuttgart, 2000.

  • Bild 1: Kritische Schubspannung von Cu-Ni Einkristallen in Abhängigkeit der Konzentration, Quelle: IFW Dresden
  • Bild 2: Schneiden eines kohärenten Teilchens durch eine Versetzung
  • Bild 3: Veränderung der Festigkeit in Abhängigkeit der Partikelgröße